Tierischer Durst – Elefant

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Wer unsere Serie über tierische Trinker liest, weiss: Die kleinen Geschöpfe können mächtig saufen. Doch wie steht es mit den Schwergewichten? Schwanken Elefanten tatsächlich schon nach wenigen Happen vergorener Früchte wie in der TV-Sendung «Die lustige Welt der Tiere» oder können es die Dickhäuter doch mit Hamstern, Amseln, Spitzhörnchen und Gérard Depardieu aufnehmen?

Wer in den 70er- und 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts aufwuchs, hat sie bestimmt gesehen: Die Sendung «Die lustige Welt der Tiere», in der Affen, Elefanten, Nilpferde, Erdmännchen und andere Bewohner Afrikas eine alkoholschwangere Party unter einem Marula-Baum schmeissen.

Grund für das feuchtfröhliche Verhalten sollen die vergorenen Marula-Früchte sein. Die Betonung liegt auf «sollen». Wie mein Vater schon sagte: «Glaube nicht alles, was Du im Fernsehen siehst». Denn mittlerweile ist bekannt, dass so ein paar vergorene Früchte keinen Elefanten ausknocken; ein afrikanischer Dickhäuter trinkt schliesslich 70 bis 150 Liter Wasser pro Tag und wiegt je nach Geschlecht 4 bis 7 Tonnen.

Trotz seiner beachtlichen Leibesfülle wiegt Gérard Depardieu noch lange nicht so viel wie ein ausgewachsener Elefant. Bild generiert mit midjourney.com
Trotz seiner beachtlichen Leibesfülle wiegt Gérard Depardieu noch lange nicht so viel wie ein ausgewachsener Elefant. Bild generiert mit midjourney.com

Gérard Depardieu bringt es mittlerweile auf 140 Kilogramm und würde wegen einiger vergorener Marula-Früchtchen nicht einmal rülpsen; in seinen besten Zeiten brüstete er sich damit, täglich 14 Flaschen Wein, Champagner und Schnaps zu zwitschern.

Tatsächlich sind Biologen der britischen Bristol University der Meinung, dass uns da vom Fernsehen ein Bär – tschuldigung – ein Elefant aufgebunden wurde. Laut National Geographic schreiben Steve Morris und seine Kollegen im Fachmagazin «Physiological and Biochemical Zoology», dass Anekdoten über betrunkene Elefanten in freier Wildbahn mehr als ein Jahrhundert zurückreichen. Es gäbe Reiseberichte aus der Zeit um 1839, in denen die Zulu erzählten, dass Elefanten ihr Gehirn mit vergorenen Früchten aufwärmen. Aber weder die Biologie des afrikanischen Elefanten noch die der Marula-Frucht würden diese Geschichten stützen.

Marula – die «verbotene» Frucht für Elefanten? Quelle: Wikipedia.com
Marula – die «verbotene» Frucht für Elefanten? Quelle: Wikipedia.com

Zwar werden die süssen, gelben Marula-Früchte von Menschen für die Herstellung von Marmelade, Wein, Bier und dem Likör Amarula verwendet. Doch laut den Biologen sei es unwahrscheinlich, dass ein Elefant die Frucht fressen würde, wenn sie verdorben am Boden läge. Die Dickhäuter würden sie direkt vom Baum angeln. «Dies ist eine weitgehend selbstverständliche Tatsache», so Morris, «denn Elefanten stossen sogar Bäume um, um die Früchte vom Baum zu holen, selbst wenn sie faul auf dem Boden liegen». Andere Experten fügen laut National Geographic hinzu, dass ein Elefant die Früchte vom Boden sofort fressen und nicht warten würde, bis sie gären. Klingt einleuchtend: Machen wir Menschen auch seit Urzeiten so:

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Funktioniert eine Theorie nicht, ist man rasch mit einer neuen zur Stelle. So argumentieren einige Verfechter der «betrunkenen Elefanten»-Hypothese, dass die Früchte nicht am Boden, sondern im Magen der grauen Riesen gären würden. Doch auch hier geben die britischen Biologen Gegensteuer: Sie weisen darauf hin, dass Nahrung zwischen 12 und 46 Stunden benötigt, um das Verdauungssystem eines Elefanten zu durchlaufen; zu wenig Zeit, um die Früchte zu fermentieren. Zudem würden die Zucker in der Nahrung zu flüchtigen Fettsäuren umgewandelt, wodurch sie für die Gärung nicht zur Verfügung stehen. Mit anderen Worten: Der Zucker wird in Fett umgewandelt, bevor er zu Alkohol vergoren werden kann. Wäre auch zu schön, wenn wir nur ein paar Früchte essen müssten, um einen in der Krone zu haben.

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Bleibt die Frage: Wie viel muss ein Elefant saufen, um besoffen zu werden? Dazu haben die Biologen der Universitär Bristol das Körpergewicht, die Verdauungsrate der Elefanten und andere Faktoren berücksichtigt. Sie kommen zu dem Schluss, dass es etwa 1,9 Liter reinen Ethanol braucht, um einen Elefanten betrunken zu machen – also Schnaps mit 95 Volumenprozent. Geht man davon aus, dass gärende Marula-Früchte einen Alkoholgehalt von 7 Prozent haben, müsste ein Elefant 27 Liter Marula-Saft schlucken, um auf 1,9 Liter Ethanol zu kommen. In Früchten ausgedrückt: Ein Elefant bräuchte 1400 gut vergorene Früchte, um hackedicht zu werden, und zwar auf einen Happs – andernfalls würde die Wirkung so schnell nachlassen, wie der Alkohol abgebaut wird.

Somit ist es laut National Geographic unwahrscheinlich, dass ein Elefant von Früchten betrunken werde, und auch ein chronischer Alkoholkonsum auf niedrigem Niveau würde nicht zu «offensichtlichen Verhaltenseffekten» führen. In normaler Sprache: Einen regelmässigen Schwips merkt man dem Elefanten nicht an; denn die Tiere können es auch ohne Alkohol lustig haben.

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Trotzdem: Die Mär vom betrunkenen Elefanten hält sich weiter. Wer nach «betrunkenen Elefanten» googelt, findet zahlreiche Artikel aus jüngerer Zeit. Ein paar Beispiele: «Besoffene Elefanten trampeln Dorf nieder». Hier wäre interessant: Wie viele Elefanten waren es? Wie stark war der Schnaps? Randalieren die Tiere vielleicht einfach, weil sie Durst hatten? Aber die Schlagzeile mit den «Schnapsdieben» macht sich natürlich besser. 

Oder: «Elefanten auf Mahua-Pfad töten drei weitere Dorfbewohner, Zahl steigt auf fünf nach zwei Tagen» (Mahua ist ein traditioneller indischer Schnaps). Wer zwischen den Zeilen liest, erfährt, dass die Dickhäuter einfach auf der Suche nach Nahrung und Trinkbarem sind. 

Noch ein letztes Beispiel: «Zwei Dutzend Elefanten schlafen ihren Alkoholrausch aus, nachdem sie den selbst gebrauten Alkohol indischer Dorfbewohner getrunken haben». Auch hier scheint die konsumierte Menge zu wenig, um wirklich einen Elefanten umzuhauen … aber es lassen sich so schöne Stilblüten fabrizieren wie: «Eine Herde von zwei Dutzend Elefanten war so betrunken, nachdem sie von Dorfbewohnern in Indien selbst gebrauten Alkohol getrunken hatte, dass sie zusammenbrach und ihre schwere Nacht des Saufens ausschlafen musste.» In einem anderen Artikel zur selben Geschichte meint denn auch der Forstbeamte, er sei sich nicht sicher, ob die Elefanten nach dem Verzehr von vergorenem Mahua betrunken waren. Vielleicht hätten sie sich nur ausgeruht. Das klingt aber einiges weniger spektakulär und wäre wohl auch nicht folgendes Video wert.

Jetzt fragt Ihr Euch: Wieso torkeln dann die Elefanten im Video «Die lustige Welt der Tiere»? Wie der Spiegel berichtet, wird nach Ansicht der erwähnten Biologen der Bristol University der Rauschzustand bei Elefanten hauptsächlich durch den Verzehr giftiger Marula-Baumrinde verursacht, die ebenfalls von ihnen konsumiert wird. In dieser wohnen Käferlarven, die Einheimische traditionell zur Herstellung von giftigen Pfeilspitzen verwenden. Das in den Larven enthaltene Gift könnte den schwankenden Gang bei Elefanten auslösen, was zu ihrem Ruf als «Trunkenbolde» geführt habe.

Autor

  • Sascha Zäch

    In jedem steckt ein Wermutwolf. Mit ihm entdecke ich neue Geschmacks- und Geisteswelten. Ausserdem habe ich eine alchemistische Ader und stelle gerne eigene Zaubertränke her.

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