Ich wollte wissen, wie wir Schweizer mit Alkohol umgehen. Ich habe in der grössten Konsumstudie des Landes nachgeforscht, und jetzt weiss ich es. Und Du auch bald, wenn Du weiter liest.
Diese Konsumstudie wird von der WEMF AG für Werbemedienforschung durchgeführt. Vorweg einige Begriffserklärungen: Die Affinität ist ein Wert, der die Nähe (die Beziehung) zu etwas beschreibt. 100 ist der Durchschnitt. Wenn von einer Affinität von 110 die Rede ist, bedeutet das, zehn Prozent mehr Nähe zu einem Thema als der Durchschnitt der Bevölkerung. Eine Affinität von 90 meint zehn Prozent weniger Bezug als der Durchschnitt. Ich habe als Basis die Deutschschweiz gewählt.
Die Grundgesamtheit beträgt 4,9 Millionen Menschen ab 14 Jahren, in einem Haushalt, mit Telefonanschluss, stationär oder mobil. Für jede Studienausgabe, welche die WEMF AG für Werbemedienforschung in Auftrag gibt, werden tausende Menschen über zahllose Konsumthemen befragt.
Zum weitesten Konsumentenkreis (innerhalb der letzten 6 Monate konsumiert) von Schweizer Bier gehört zwei Drittel der Bevölkerung. Beim ausländischen Bier sind es 56,7 Prozent. Beim täglichen Gebrauch sind es allerdings über viermal mehr beim Schweizer Bier im Vergleich zu fremdem Hopfennass. Das bedeutet, dass ausländisches Bier zwar von vielen konsumiert wird, aber bei Weitem nicht so häufig wie das von heimischen Herstellern.
Und hier kann ich mich ganz mit den Zahlen identifizieren. Ich trinke sehr gern einmal ein belgisches Grimbergen, aber in meinem Kühlschrank finden sich praktisch nur einheimische Biere – entweder von meiner Lieblingsbrauerei Pilgrim, oder von den monatlichen Lieferungen Schweizer Craft-Biere, die ich über bierliebe.ch abonniert habe. Der Bezug zu helvetischen Produkten ist einfach stärker. Mit dem deutschen «Reinheitsgebot» kann ich gar nichts anfangen, das ist eine reine Kreativitäts- und Geschmacksbegrenzung, deren Sinn sich mir in der heutigen Zeit gänzlich entzieht.

10,6 Prozent trinken praktisch täglich Bier. Beim Wein sind es 8,4 Prozent. Bei allen anderen Arten von Alkohol sinken die Werte dramatisch unter ein Prozent. Champagner/Sekt/Prosecco sowie gebrannte Wasser wie Grappa oder Kirsch notieren bei 0,8 Prozent. Danach kommt Whisky/Whiskey mit 0,6 Prozent, anschliessend Gin mit 0,4 Prozent, gefolgt von Rum (0,3 Prozent), Vodka und Apéritifs wie Sherry, Portwein oder dem göttlichen Wermut (0,2 Prozent) sowie Cognac und Alcopops mit je 0,1 Prozent.
Im täglichen Gebrauch spielen also fast nur Wein und Bier eine relevante Rolle. Es ist schockierend! Bleiben wir bei den Aperitifs, dem Jagdrevier des Wermutwolfs. Ausser den 0,2 Prozent, die praktisch täglich/mehrmals wöchentlich trinken, gibt es noch weitere 2,8 Prozent, die wöchentlich und 9,8 Prozent, die ein- bis dreimal monatlich, na ja, vermutlich nur daran nippen. Und wohlverstanden, wir sprechen hier nicht nur von Wermut allein, sondern im Kollektiv mit Sherry, Portwein, und so weiter. 39 Prozent geben an, seltener als ein- bis dreimal monatlich diese Sorten zu kredenzen. Es wird sich also um circa ein- bis zweimal mal pro Jahr handeln, also praktisch gar nicht.
Die Hälfte der Bevölkerung trinkt jedenfalls nie solche Getränke. Und von den Anderen vermute ich, dass nur ungefähr 5 bis 6 Prozent der Schweizer gelegentlich Wermut konsumieren. Was stimmt nur mit diesem Volk nicht? Kennt es eventuell nur profanen Martini (nicht den Cocktail, sondern den Billig-Wermut)? Monty Python musste konstatiert festhalten, dass nicht genügend Menschen Hüte tragen. Das war nichts im Vergleich zu diesem Wermut-Debakel!

Betrachten wir die Misere noch etwas genauer. Es scheint entgegen meinen Erwartungen, dass mehr Männer wie Frauen diese Getränkeart zu sich nehmen. Konkret: beim täglichen bis wöchentlichen Konsum, 85’000 Männer (klar überaffin) zu 70’000 Frauen (klar unteraffin).
Sowohl bei Männern als auch Frauen steigt die Affinität mit zunehmendem Alter. Will heissen, dass junge Frauen hier ein Hauptproblem darstellen. Bei den 14 bis 34-jährigen Frauen spielt diese Getränkekategorie praktisch keine Rolle. (11’000 Konsumentinnen in der gesamten Schweiz). Bei den 14 bis 17-jährigen Damen bin ich bereit, ein Auge zuzudrücken, aber die Frage stellt sich, wie wir den Wermut bei den 18 bis 34-jährigen Frauen populärer machen können. Ich denke, dass das primär ein Erziehungsproblem ist. Es scheinen hier die erwachsenen Vorbilder zu fehlen, welche die jungen Geschöpfe des schönen Geschlechts an den Wermut, den es seit dem alten Ägypten gibt, heranführen.
Der Alkoholgehalt des Wermuts variert zwischen 14 und 22 Volumenprozent, ist insofern gut bekömmlich. Das Wermutkraut wurde in der Antike unter anderem gegen Gelbsucht oder Tetanus verwendet. Man könnte, wenn einem der Sinn danach steht, hier also von Medizin sprechen.

Zum Auf und Ab des Wermuts weiss Wikipedia:
«Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Getränk zunehmend unpopulär. Der für einen reichlich Alkohol trinkenden Land- und Stadtstreicher stehende Begriff Wermutbruder etablierte sich und steht stellvertretend für die mit dem Getränk negativ verbundenen Assoziationen. Seit den 2000er-Jahren ist die Popularität des Wermuts wieder angestiegen. So gründeten sich zwischen den Jahren 2012 und 2016 weltweit etwa 100 neue Marken.»
Nun gut, dann scheint es wenigstens aufwärts zu gehen … auf bescheidenem Niveau.
14,3 Prozent der (mehr oder weniger erwachsenen) Schweizer trinken übrigens gar keinen Alkohol. Es würde mich sehr interessieren, wie viele davon einer anderen Art von Rausch zugeneigt sind, sei es Cannabis, (Microdosing) LSD, Ecstasy/MDMA, DMT, oder was auch immer, und wie viele wirklich komplette Abstinenzler sind.
Dass das gesagt sei: Es liegt mir fern, etwas zu propagieren. Mir ist bewusst, dass der Weg zur Erleuchtung auf beide Arten stattfinden kann, über die Askese oder den Rausch.
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