Heul doch! – Das Blutmond-Drama

Letztes Update:

In dieser Rubrik heulen wir Euch etwas vor. Normalerweise heult der Wolf aus diversen Gründen. Hier aus schierer Verzweiflung.

Ich befinde mich in der privilegierten Situation, dass neben meinem Büro jeweils von Anfang November bis Ende Dezember ein Glühweinstand aufgebaut wird. Seit vielen Jahren erleichtert er Ende Jahr die Blut-Schweiss-und-Tränen-Arbeitstage. Apropoz Blut …

Mein dortiges Lieblingsgetränk war stets der «Blutmond». Im Gegensatz zum restlichen Angebot (Glühwein, Jagertee, Tee Rum, Kafi Lutz und so weiter) war der «Blutmond» die einzig wahre Kreation, und zwar mit folgenden Zutaten:

  • Wodka
  • Schwarztee
  • Apfelsaft
  • Ingwer (ein Stück frischer Ingwer wird am Schluss vom Knollen abgeschnitten und in den Becher dazu gegeben)
Ein Bild aus meinem früheren Domizil, bei einer Do-the-bloodmoon-yourself-Aktion

Ich schreibe «war», denn an der Eröffnung heute Freitag fand der folgende Dialog zwischen mir und der Bedienung statt:

Ich: Ich hätte gerne einen «Blutmond».
Sie: Den bieten wir nicht mehr an.
Ich: Wie bitte?
Sie: Ja, der ist nicht gut gelaufen.
Ich: Okay, irgendwas ist jetzt gerade schiefgelaufen. Versuchen wir es nochmals. Ich hätte gerne einen «Blutmond».
Sie: Tja, sorry, den führen wir nicht mehr. Wir mussten immer wieder Apfelsaft wegschmeissen.
Ich: Das kann nicht sein! Nur schon ich allein habe den jeweils literweise bestellt!

Nun gut, irgendwann legte sich der erste Schock ein wenig. Ich bestellte einen Jagertee und versuchte mich zu sammeln. Im Laufe des Tages bestellte ich zur weiteren Verarbeitung der Lage und zur Suche nach einem würdigen Ersatz noch einen «Holdrio», einen Tee Rum, ein «Schümli Pflümli» sowie einen Amaretto-Tee. Das war ja alles ganz nett, aber kein Vergleich zum herrlichen, revitalisierenden «Blutmond».

So schön sah die Karte früher aus …

Wie ist es möglich, dass die Masse offenbar nicht weiss, was gut ist? Viele Leute trinken zum Beispiel ein Leben lang ihr biederes Mainstream-Lagerbier, aber kommen nicht auf die Idee, all die anderen hunderte Biere zu versuchen, die den Geschmackshorizont erweitern könnten.

Und dann kommt noch Folgendes dazu: Der «Blutmond» war gesund! Jawohl, gesund! Nochmals: Tee! Apfelsaft! (also Vitamine!) Ingwer! (Immunsystem-Booster!) Ingwer! (entzündungshemmend!) Was ist gesünder als Ingwer? Jedenfalls fühlte ich mich nach ein, zwei, drei «Blutmonden» stets gesünder als zuvor. Und besser gelaunt.

Nun gut, was kann ich tun, um hier Satisfaktion zu erlangen? Eine Volksinitiative hätte vermutlich keine Chancen. Die Bude abzufackeln, liegt auch nicht drin.

Wobei früher ja nicht alles besser war …

Eine Variante wäre es, mir im Büro selbst «Blutmonde» zu machen und jeden Tag zum Glühweinstand zu gehen und ihnen mitzuteilen, dass ihnen nun erneut 16 bis 24 Franken durch die Lappen gegangen sind. Jeden! Tag!

Oder ich baue mir einen mobilen «Blutmond»-Stand auf Rädern, fahre den immer wieder direkt neben den Glühweinstand, biete «Blutmonde» feil, und schaue mal, ob das wirklich niemand will. Spätestens wenn sich abends vor dem Glühweinstand eine Schlange bildet, könnte ich die Ungeduldigen abgreifen.

Es bräuchte eine «Blutmond»-Grassroots-Bewegung. Aber da dies wohl unrealistisch ist, könnte ich Leute engagieren, die vorbeigehen und «Blutmonde» bestellen. Und die ihren Freunden sagen, sie sollen das auch tun. Denen so lange auf die Nüsse gehen, bis sie kapitulieren und zur Vernunft kommen. Ausserdem könnte ich russische Internet-Trolle anheuern, die auf Social Media den «Blutmond»-Drink trenden lassen.

Das aktuelle Angebot. Ja da fehlt etwas entscheidendes …

Der nächste astronomische Blutmond (totale Mondfinsternis), der in der Schweiz zu sehen sein wird, findet offenbar erst in fünf Jahren statt. Wenn ich Special-Effects-Künstler finden könnte, die einen Blutmond über dem Glühweinstand aufgehen liessen plus Statisten, die laut «Ein Wunder!» rufen würden, dann nehmen die den «Blutmond» vielleicht wieder ins Sortiment auf!

Eine andere Möglichkeit wäre gegebenenfalls, dass ich die Zutaten in den Stand hinein schmuggeln würde. Ich meine, was wollen sie dann tun? Es wegwerfen? Das wollten sie ja vermeiden, deshalb haben sie das Getränk von der Karte genommen.

Der Tatort des Dramas

Ach, die Welt ist ungerecht und blutmondleer … es ist zum heulen …


Addendum 4.11.2023:

Was steckt hinter dem schamlosen Entfernen des besten Drinks am Glühwein-Standl?

Addendum 6.11.2023:

Ich konfrontierte den heute anwesenden Stand-Mitarbeiter mit der Vermutung, dass ja noch immer sämtliche Ingredienzen vom köstlichen «Blutmond» im Stand vorhanden sein sollten. Das war ein Irrtum. Apfelsaft ist tatsächlich nicht mehr mit dabei, sondern Apfelmost, was ja grundsätzlich als «Blutmond»-Zutat noch besser wäre, doch es hat auch keinen Wodka mehr.

Das Geschehen nahm jedoch eine unerwartete Wende, als ihm herausrutschte, dass es auf seiner Liste einen Drink gibt, der nicht auf der sichtbaren Angebotskarte mit drauf ist, und zwar die «Grüne Fee». Natürlich mit Absinth. Und heissem Wasser. Und sonst nichts. Und es ist auch kein grüner Absinth.

WerSascha und ich sind beide Absinth-Fans, und so entschieden wir uns augenblicklich hierfür und staunten, dass diese simple Mischung – ohne Zugabe von Zucker oder sonst etwas – sehr gut schmeckte. Fazit: Mit der blassen «Grünen Fee» und Glüh-Gin komme ich gut durch bis Ende Jahr. Ende gut, Haldengut!

Autor

  • Daniel Frey

    Ich habe Freude am Schreiben. Und am Trinken. Und am Schreiben, während ich trinke. Während des Vollmondes oder während des Trinkens verwandle ich mich in meine wölfische Urnatur.

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