Absinth hat den Ruf des Verbotenen und Gefährlichen. Er ist keins von beidem, sondern ein erfrischendes, belebendes Elixier – konzentrierte Natur im Glas. Die Schweiz hat eine jahrhundertealte Absinth-Tradition und bietet eine riesige Auswahl an ursprünglichen, handgefertigten Absinths. Wir nehmen Euch mit auf eine abenteuerliche Entdeckungsreise: Sie handelt von Kräuterfrauen, Schwarzbrennern, mörderischem Wahnsinn und unglaublicher Geschmacksvielfalt.
Absinth ist ein Pflanzenauszug: Kräuter, Samen, Wurzeln und Blüten werden in starkem Alkohol eingelegt und anschliessend destilliert – genauso wird Gin hergestellt. Warum war Absinth in der Schweiz fast 100 Jahre lang verboten und Gin nicht?
Der Grund ist eine Pflanze, die im Absinth steckt, nicht aber im Gin. Echter Gin muss mit Wacholderbeeren angesetzt werden; sie verleihen ihm den typischen Geschmack. Die kleinen, blauen Beeren kennt Ihr vielleicht aus dem Sauerkraut. Die Seele des Absinths ist hingegen Wermutkraut (Artemisia Absinthium) … genau! Unser Namensgeber und auch Bestandteil des Wermut-Aperitifs. Wermutkraut hat viele positive Eigenschaften, doch wie ein Werwolf hat es eine dunkle Seite.


Wermutkraut wird schon seit Jahrtausenden für medizinische Zwecke verwendet; der legendäre griechische Arzt Hippokrates (ca. 460 bis 370 v. Chr.) nutzte es gegen allerlei Leiden, die bekannte Benediktiner-Äbtissin Hildegard von Bingen (1098 bis 1179 n. Chr.) braute damit ihren vitalisierenden Frühlingstrunk, der englische Name «Wormwood» für Wermut weist auf die Verwendung als Entwurmungsmittel hin.
«Der Wermut ist der Meister über alle Erschöpfungszustände im Menschen. Trinke den Wermutwein von Mai bis Oktober jeden dritten Tag nüchtern, er beseitigt in Dir die Nierenschwäche und die Melanche und klärt Deine Augen und stärkt Dein Herz und lässt nicht zu, dass Deine Lunge krank wird. Er wärmt den Magen und reinigt die Eingeweide und bereitet eine gute Verdauung.»
Hildegard von Bingen
Wermutkraut ist extrem bitter – und mit extrem meine ich extrem (glaubt mir, ich habe Wermutkraut aus meinem Garten als Tee getrunken, dagegen ist das Schweppes-Gesicht nichts).
Deshalb erstaunt es mich nicht, dass im Altgriechischen «Apsinthion» für «Wermut» und «untrinkbar» steht; einige vermuten darin den Ursprung des Worts «Absinth». Guter Absinth ist allerdings alles andere als «untrinkbar», denn der geschickte Brenner kitzelt den Wermutgeschmack ohne Bitterkeit aus seiner Destille. Soll es doch ein wenig bitter sein, werden nachträglich nochmals Kräuter hinzugesetzt und am Schluss abgesiebt. Das gibt dem Absinth eine schöne grüne Farbe und hat einen triftigen Grund: Bitterstoffe haben in Massen eine gute Seite: Sie wirken appetitanregend und verdauungsfördernd (siehe dazu unseren Artikel über Cocktailbitter). Ohne nachträgliches Zusetzen von Kräutern ist ein Absinth kristallklar.
Im Absinth werden übrigens vor dem Brennen nebst dem Wermutkraut noch weitere Botanicals eingelegt. Hier sind dem Brenner keine Grenzen gesetzt. Typisch für Schweizer Absinth sind römischer und gemeiner Wermut, Anis und Fenchel. Üblich sind auch Pfefferminz, Koriander, Zitronenmelisse, Ysop, Zitronengras, Sternanis, Rainfarn, Kalmus, Ehrenpreis, Engelwurz und Süssholz. Absinth ist also ein richtiger Kräutergarten, konzentrierte Natur.
«Absinth, ich bewundere dich wahrhaftig! Wenn ich dich trinke, kommt es mir vor, als inhaliere ich die Seele eines jungen Waldes während der wunderschönen grünen Jahreszeit.»
Raoul Ponchon
Warum dann das Verbot und der schlechte Ruf? Bei all diesen Heil bringenden Eigenschaften müssten wir doch täglich unser Gläschen Absinth schlürfen? Der Grund ist das Nervengift Thujon, das im Wermutkraut steckt. Es soll in hohen Dosen Epilepsie und Halluzinationen hervorrufen … sogar verrückt machen. Die Angst vor diesen Nebenwirkungen führten in der Schweiz und vielen anderen Ländern Anfang des 20. Jahrhunderts zum Absinth-Verbot. Hinzu kam ein verstörender Familienmord: Der Familienvater Jean Lanfray tötete 1905 in der waadtländischen Gemeinde Commugny seine schwangere Frau sowie seine zwei- und vierjährigen Töchter. Die Presse gab dem Absinth die Schuld. Wie sich später herausstellte, hatte Jean Lanfray ausser Absinth auch riesige Mengen an Wein und Branntwein intus. Das wollte damals aber niemand wissen und deshalb war 1910 nach einer Volksabstimmung Schluss mit Absinth in der Schweiz – zumindest offiziell.
Denn nicht nur in Frankreich gibt es Unbeugsame, die sich nicht unterkriegen lassen, sondern auch im Kanton Neuenburg, im Val-de-Travers. Man munkelt, dass dort der Absinth von der kräuterkundigen Marguerite Henriette Henriod (1734 bis 1801), bekannt als Mutter Henriod, als Heilmittel gegen Magenschmerzen ausgetüftelt wurde (die ausführliche Geschichte lest Ihr hier).

Das Elixier schmeckte jedoch so gut, dass es bald danach als Aperitif seinen Siegeszug feierte. Mit so einer jahrhundertealten Absinth-Tradition lässt man sich natürlich nicht durch Schauergeschichten ins Bockshorn jagen und brannte seinen Absinth munter im Geheimen weiter; ganze 95 Jahre lang, bis 2005 das Absinth-Verbot in der Schweiz aufgehoben wurde.
Heute ist die Thujon-Konzentration im Absinth gesetzlich geregelt und liegt weit unter einer gefährlichen Dosis – früher wohl auch; verantwortlich für die Nebenwirkungen war eher die Menge des konsumierten Absinths oder Alkohols.
«Die Grüne Fee ist der Zaubertrank, der dem Leben seine feierliche Färbung gibt und seine dunklen Tiefen aufhellt.»
Charles Baudelaire
Absinth ist heute in der Schweiz also weder verboten noch gefährlich, aber immer noch ein Geschmackserlebnis wie in alten Zeiten. Dank der Schwarzbrenner aus Neuenburg haben die alten Rezepte überlebt, auch in flüssiger Form. Viele davon bekommt Ihr über die Schweizer Website absinthemarket.com/de/. Der Wermutwolf hat für Euch die «Entdeckerbox Absinthe Saveurs» ausprobiert – ein guter Start, um die Geschmacksvielfalt des Schweizer Absinths zu erkunden. Sie enthält sowohl klare (Blanche) als auch grüne Absinths (Verte). Wir haben die Box zwar kostenlos für unseren Test erhalten, aber bewerten die einzelnen Absinthe gewohnt kritisch.
Absinth wird übrigens nicht pur getrunken, sondern verdünnt mit kaltem Wasser; denn Absinth hat einen Alkoholgehalt von 50 bis 70 Volumenprozent. Bei Whisky wäre das Fassstärke. Wie viel Wasser Ihr ins Glas giesst, ist abhängig von der Absinth-Stärke und Eurer Vorliebe. Experimentiert mit einem Absinth-zu-Wasser-Verhältnis von 1:1 bis 1:5. Der Wermutwolf hat ein ganz simples Rezept: Giess so viel Wasser ins Glas, bis der Inhalt milchig weiss oder grün wird. Das ist der Louche-Effekt (französisch louche = undurchsichtig). Wermut und Anis (oft auch im Absinth vorhanden) enthalten ätherische Öle, die schlecht wasserlöslich sind. In Verbindung mit Wasser bilden diese winzigen Tropfen, die das Getränk trüben. Und das passiert bei ca. 40 Volumenprozent, der perfekten Trinkstärke. Ob mit Zuckerritual oder ohne, ist Geschmackssache. Heutzutage sind viele Absinthe eher süss, Zucker braucht es bei diesen nicht. Wenn Ihr das Zuckerritual durchführen wollt, empfehle ich einen grünen, bitteren Absinth (den gibt es in der Tasting-Box auch).
«Ich sitze vor meiner Tür, rauche eine Zigarette und schlürfe meinen Absinth, ich geniesse jeden Tag und bin ohne Sorgen.»
Eugène Henri Paul Gauguin
So wie es Johnny Depp im Film «From Hell» macht, empfehle ich es nicht. Sieht zwar spektakulär aus (ich meine nicht Johnny Depp in der Badewanne), aber es fehlt das Wasser zum Verdünnen. Das Feuer verbrennt den Alkohol und zerstört feine Geschmacksnoten. Ausserdem ist Laudanum (eine Opiumtinktur) heute schwer erhältlich.
Wenn es mit Zucker sein soll, dann macht es besser so:
Oder mein Favorit:
Die Wassermenge, Zucker oder nicht, grün oder weiss, viele oder wenige Kräuter – Absinth ist ein riesiger Abenteuerspielplatz für eine geschmackliche Entdeckungsreise. Dazu kann ich die «Entdeckerbox Absinthe Saveurs» für 69 Franken uneingeschränkt empfehlen. Ich habe keinen der zehn Absinthe schlecht gefunden; sie zeigen das Spektrum und die Kunst der Schweizer Absinth-Brenner. Dennoch habe ich ein paar Favoriten entdeckt. In der Bildergalerie unten findet Ihr mein Kurzfazit zu allen zehn Kostproben. «N» steht für «Nase» (also den Geruch), «M» für «Mund» (den Geschmack und das Mundgefühl) und «A» für «Abgang».










Wer geschmacklich noch weiter reisen möchte: Absinth eignet sich ausgezeichnet als Bestandteil von Cocktails. Folgend ein paar Ideen für den Start:
Wenn es etwas sportlicher sein soll, ist ausserdem eine Entdeckungsreise auf der Route de l’Absinthe eine Empfehlung wert.
Kommentar verfassen