TrinkGeschichten – Menschsein

Vom Affen zum Menschen mit Bier

Letztes Update:

Vom trockenen Affen zum betrunkenen Menschen.

«Mach Dich nicht zum Affen! Du hast zu viel getrunken!», feixt meine Beinahe-Eroberung an der Bar. Mist! Alles lief so gut. Wir haben gelacht. Wir haben geflirtet. Die Atmosphäre knisterte. Nun ist die feuchtfröhliche Stimmung dahin – geplatzt, als hätte ich mit einer Nadel in einen Ballon gepikst. Zugegeben, mein Witz war unter der Gürtellinie. 

In meinem Kopf rattern die Zahnräder … kann ich das Ruder rumreissen, ohne dass mein Bar-Flirt genervt von dannen zieht? Ich gehe in Gedanken die Optionen durch: Ich schäme mich und verspreche auf Knien, nie mehr einen über den Durst zu kippen (bis zum nächsten Mal). Nein, so wirke ich wie ein geschlagener Hund. Ich streite mit leichtem Zungenschlag ab, dass ich zu tief ins Glas geschaut habe. Auch nicht das Wahre; das wirkt arrogant. Ich habs! Und antworte mit siegessicherem Grinsen: «Du hast recht. Noch bin ich ein Affe. Es fehlen ein paar Bierchen, bis ich ein Mensch bin. Kennst Du Gilgamesch … oder besser gesagt Enkidu?»

Vermutlich gucken Sie jetzt genauso verdutzt wie mein Gegenüber. Aber nicht immer wurde Trunkenheit als unanständig und doof angesehen. Etwas, das höchstens an wenigen Tagen im Jahr geduldet wird, an mittlerweile inhaltsleeren Anlässen wie der Fasnacht, der Street Parade oder am Oktoberfest. Wer in der übrigen Zeit angedudelt ist, gilt als Alkoholiker, nicht gesellschaftsfähig. Das ist aber erst seit einem halben Jahrhundert so: Wer erinnert sich nicht an die Fernsehsendungen Anfang der 80er-Jahre, als Moderatoren und Gäste noch ein Bier vor sich hatten? An Kommissar Bärlach in Dürrenmatts Kriminalromanen, der zum Aufwärmen am Morgen einen Kaffee-Schnaps trinkt? Im Mittelalter genehmigten sich Mönche bis zu 5 Liter Bier pro Tag. Römische Soldaten erhielten täglich ihre Ration Wein und ohne Bier wären die Pyramiden in Ägypten wohl nie gebaut worden. Womit wir wieder zu Gilgamesch zurückkehren, dem ältesten bekannten Heldengedicht der Menschheit.

Die Geschichte um König Gilgamesch reicht bis ins dritte Jahrtausend vor Christus zurück und spielt im Zweistromland, dem Gebiet zwischen den beiden vorderasiatischen Flüssen Euphrat und Tigris, dem heutigen Irak und Nordsyrien. Geschrieben wurde das Epos in einer Keilschrift auf Tontafeln. Die besterhaltene Version stammt aus dem 7. Jahrhundert vor Christus. 

Tontafel mit Keilschrift
Tontafel mit Keilschrift. Quelle: Pixabay

Wie bei vielen Herrschern war auch Gilgamesch die Macht zu Kopf gestiegen. Er war alles andere als ein guter König; er versklavte Männer und machte deren Frauen zu seinen Konkubinen. Das passte seinen Untertanen natürlich ganz und gar nicht. Was tut man, wenn ein König ausser Rand und Band gerät? Man fleht die Götter um Hilfe an. Und hier kommt Enkidu ins Spiel; ein wilder, haariger Mann, mehr Tier als Mensch. Die Götter geben ihm einen klaren Auftrag: Er soll Gilgamesch töten. Doch meistens kommt es anders, als man denkt – selbst bei Göttern. Gilgamesch und Enkidu kämpften zwar, doch es gab keinen Sieger. Sie wurden Freunde, erlebten viele Abenteuer und setzten sich mit ewig währenden Themen wie Heldenmut, Freundschaft und Sterblichkeit auseinander.

Die Lage des Zweistromlands
Die Lage des Zweistromlands. Quelle: Google Maps

Doch wie können ein König und ein «Tier» Freunde werden? Durch Zähmung. Und wie so oft geht das bei Männern nur mithilfe einer Frau. Gilgamesch schickt eine Tempeldienerin (manche Texte sprechen auch von einer Prostituierten) zu Enkidu. Sie soll ihn zum Menschen machen. Aber das alleine reicht nicht: Zusätzlich braucht es Alkohol, viel Alkohol. Doch lassen wir das Gilgamesch-Epos selbst sprechen, in der Übersetzung von Prof. Dr. Albert Schott (1901–45):

Enkidu sass vor der Schamkat (der Tempeldienerin); 

Es umschmeichelten einander die beiden. 

Die Steppe vergass nun Enkidu, wo er geboren ward. 

Er hörte ihr Wort, stimmte zu ihrer Rede, 

Des Weibes Rat fiel in sein Herz. 

Ein Gewand zog sie aus: Ihn bekleidete sie mit dem einen, 

Das andere Gewand behielt sie selbst an. 

Sie nahm ihn an die Hand, ihn wie ein Gott 

Zu führen zu des Hirten Tisch, zur Stätte des Hofes. 

Um ihn scharten die Hirten sich. Aber Enkidu, der im Gebirge daheim ist – 

Verzehrte auch mit den Gazellen das Gras.

Pflegt‘ er die Milch des Getiers zu saugen. 

Sie setzten ihm Speise vor, er sah genau hin, 

Er schaut und guckt 

Nicht weiss Enkidu Brot zu essen. 

Rauschtrank zu trinken, ward er nicht gelehrt! 

Die Schamkat tat den Mund auf und sprach zu Enkidu: 

«Iss das Brot, Enkidu, das gehört zum Leben! 

Trink den Rauschtrank, wie's Brauch ist im Lande!» 

Brot ass Enkidu, bis er gesättigt war, 

Trank den Rauschtrank – der Krüge sieben! 

Frei ward sein Inneres und heiter, 

Es frohlockte sein Herz, und sein Antlitz erstrahlte! – 

Mit Wasser wusch er ab seinen haarigen Leib: 

Er salbte sich mit Öl und wurde dadurch ein Mensch. 

Ein Gewand zog er an, wie die Männer ist er nun.

Kurz und gut: Zum Menschsein braucht es nicht mehr als Liebe, Brot und sieben Krüge «Rauschtrank». Darauf stossen wir gerne an!

Übrigens: Eine witzige Kurzversion des Gilgamesh-Epos gibts auf YouTube unter:


Autor

  • Sascha Zäch

    In jedem steckt ein Wermutwolf. Mit ihm entdecke ich neue Geschmacks- und Geisteswelten. Ausserdem habe ich eine alchemistische Ader und stelle gerne eigene Zaubertränke her.

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